Wunderbare Beschreibung einer Bedienungsanleitung.

Aus Karte und Gebiet von Michel Houellebecq:

„Während Jed auf einer Bank des kleinen Flughafens auf den Abflug wartete, warf er einen Blick auf die Gebrauchsanweisung des Fotoapparats, den er am Tag zuvor bei FNAC gekauft hatte. Die Nikon D3x, die er gewöhnlich für die vorbereitenden Aufnahmen seiner Porträts benutzte, war ihm zu imposant, zu professionell vorgekommen. Houellebecq stand um Ruf, einen abgrundtiefen Hass auf Fotografen zu haben; Jed hatte gespürt, dass ein Apparat mit eher spielerischem, familiärem Äußerem besser geeignet wäre.

Gleich im ersten Satz beglückwünschte ihn die Firma Samsung nicht ohne eine gewisse Emphase zum Kauf des Modells ZRT-AV2. Weder Sony noch Nikon hätten daran gedacht, ihn zu beglückwünschen, diese Firmen waren zu arrogant, zu sehr in ihrem Professionalismus verwurzelt. Vielleicht handelte es sich dabei aber auch nur um die typisch japanische Arroganz; diese gut etablierten japanischen Firmen waren sowieso unerträglich. Die Deutschen bemühten sich in ihren Gebrauchsanweisungen, die Fiktion einer auf Vernunft und Treue beruhenden Wahl aufrechtzuerhalten, und es blieb ein echtes Vergnügen, die Bedienungsvorschrift für einen Mercedes zu lesen, aber im Hinblick auf das Preis-Leistungs-Verhältnis brach diese bezaubernde Fiktion, diese Sozialdemokratie der Gremlins, kläglich zusammen. Blieben noch die Schweizer mit ihrer Politik der extremen Preise, die den einen oder anderen reizen konnte. Jed hatte zu manchen Anlässen mit dem Gedanken gespielt, ein Schweizer Produkt zu kaufen, im Allgemeinen einen Fotoapparat von Alpa oder eine Armbanduhr, aber der Preisunterschied im Verhältnis von 5:1 zu einem normalen Produkt hatte ihn sehr schnell davon abgehalten. Für einen Verbraucher, der in den Jahren um 2010 seinen Spaß haben wollte, war es am besten, sich einem koreanischen Produkt zuzuwenden: bei Autos Kia und Hyundai und in der Elektronik LG oder Samsung.

Das Modell ZRT-AV2 von Samsung verband, der Einführung des Handbuchs zufolge, originelle technische Erfindungen – wie zum Beispiel die automatische Erkennung eines Lächelns – mit der geradezu legendären Benutzerfreundlichkeit, die den Ruf der Marke begründete.

Nach dieser lyrischen Passage wurde der Rest eher technisch, und Jed blätterte schnell weiter, um die wichtigsten Informationen zu finden. Es war offensichtlich, dass ein gewisser wohldurchdachter Optimismus, der einer möglichst breite Käuferschicht zu überzeugen sichte, bei der Konzeption der Kamera den Ausschlag gegeben hatte. Diese bei Produktion der modernen Technik weitverbreitetete Tendenz war jedoch keinesfalls eine Notwendigkeit. Anstelle der Programme FEUERWERK, STRAND, BABY 1 und BABY 2 zum Beispiel, die der Photo Style Selector der Apparats anbot, hätte man durchaus auch BEERDIGUNG, REGENTAG, GREIS 1 und GREIS 2 finden können.

Warum eigentlich BABY 1 und BABY 2?, fragte sich Jed. Als er auf Seite 37 der Anleitung nachschlug, begriff er, dass diese Funktion es erlaubte, die Geburtsdaten von zwei verschiedenen Babys einzugeben, um ihr Alter in die elektronische Datei zu integrieren, die für jedes Foto erstellt wurde. Auf Seite 38 gab es weitere Hinweise: Diese Programme waren, wie das Handbuch versicherte, konzipiert, um den >>gesunden, frischen<< Teint der Babys wiederherzustellen. Ihre Eltern wären vermutlichtatsächlich enttäuscht, wenn BABY1 und BABY2 auf ihren Geburtstagsfotos ein verknittertes gelbliches Gesicht hätten, aber Jed persönlich kannte keine Babys; er würde auch nicht die Gelegenheit haben, das Programm HAUSTIER zu benutzen, und das Programm PARTY wohl auch kaum – letztlich war dieser Apparat vielleicht doch nicht für ihn bestimmt.“

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